Geschichte

Annie seufzte. "Mein Gedächtnis ist fürn Arsch.", murmelte sie. Doch sie war schon sehr überrascht, dass er ihren vollen Namen kannte. "Woher kennst du meinen Namen?"

Anastasia bemerkte Cody. "Als würden wir hier wirklich unser Abi machen!", bemerkte sie abfällig. Andere Vampire sahen sie an.
"Dieses Mädchen ist so unverschämt." "Für was hält sie sich eigentlich?" "Hübsch ist sie nur von außen, in drin ist sie hässlich wie der Halbvampir." Gerede hallte durch den Raum.

"Anfang des Schuljahres wurde jeder Schüler einmal mit seinem vollständigen Namen aufgerufen.", erklärte Bloodwyn. "Ich habe mir zu jedem Gesicht einen Namen gemerkt, inklusive Dir. So komme ich nicht in die Verlegenheit, jemanden nach seinem Namen zu fragen.

Cody löste die Tablette auf und rührte ein wenig in dem Blut herum, über das Gerede hingegen konnte er nur lachen. "Wenn ihr mich mal von innen sehen wollt - ich hab meinen Nahttrenner immer dabei.", witzelte er und setzte das Glas an die Lippen. Durch seine gräulich-durchschimmernde Haut sah man, wie die Flüssigkeit seine Kehle hinabrann.

"Aber jemandem nach seinem Namen zu fragen gehört dazu, wenn man Kontakt knüpfen will, oder nicht?" Annie sah ihn an. Der Junge war definitiv anders, als alle die sie kannte.

Anastasia stand auf. "Ihr interessiert mich alle nicht. Vergesst das nicht. Ihr könnt reden, so viel ihr wollt. Niemand wird jemals wirklich meine Aufmerksamkeit auf sich ziehen." Sie lachte. Ihr machte es Spaß.

"Die meisten Schüler wollen sowieso nichts mit mir zu tun haben. Sie finden meine Stimme merkwürdig... oder mein Gesicht.", erklärte Bloodwyn und sah sie an. "Du nicht.", stellte er fest. "Sehe ich das richtig?"

"Dann wirst Du irgendwann verdammt einsam werden.", stellte Cody fest und trank das Glas aus. Ihm war es egal, dass er angestarrt wurde. Als hätten untote, blutsaugende Monster noch nie so einen wie ihn gesehen. Tze.

"Ich rede eigentlich nie mit Jungen, deswegen kann ich das schlecht beurteilen.", antworte Annie. "Jungen sind bösartig." Sie sah ziemlich ernst dabei aus. Ihre Meinung würde sich wahrscheinlich auch nicht so leicht ändern.

Anastasia setzte sich zu Cody. "Nicht nur ich, mein Lieber.", gab sie zurück. "Hast du Freunde? Bezweifle ich stark, denn du bist nun mal du. Ich will einfach nur keine Freunde haben. Sonst würde ich mich anders verhalten. Kennst du an dieser Schule auch nur eine Person, die mit dir redet, obwohl du du bist? Ich wette niemand weiß, wie du wirklich bist, weil niemand mit dir reden will."

"Gut oder böse existiert eigentlich nicht. Es sind nur zwei Kategorien, anhand derer Du Handlungen beurteilst, je nachdem, ob sie zu Deinen Vorstellungen passen oder nicht." Bloodwyns Miene blieb bei dieser Ausführung vollkommen unbewegt. Als würde er eine Matheformel rezitieren.

Cody sah kurz auf. "Ich habe momentan keine Freunde, aber das wird sich schon irgendwann ändern.", meinte er schulterzuckend. "Vielleicht müsste man blind sein, aber wer weiß das schon. Ich glaube an den Zufall. Ich glaube, in dieser Hinsicht unterscheiden wir uns beide."

"Du bist merkwürdig.", stellte Annie schlussendlich fest. "Du schläfst nicht und bist eher ein Untoter." Sie lächelte zwar, aber wirklich überzeugend war das nicht.

"Wir unterscheiden uns da kaum. Ich warte nur auf die richtigen Menschen. Die meine Aufmerksamkeit erregen, verstehst du? Das ist auch eher dem Zufall überlassen." Anastasia sah sich im Raum um. "Was siehst du, wenn du dir die Menschen und Vampire ansiehst?"

"Ich halte Schlaf lediglich für ineffizient.", stellte Bloodwyn klar. "Theoretisch könnte ich schlafen, aber ich möchte es nicht. Ein Untoter?" Eine winzige, kaum sichtbare Falte erschien auf seiner Stirn. "Ich glaube kaum, dass ich ein Untoter bin."

"Du wartest aber auf einen bestimmten Zufall. Das ist wiederum Kontrolle, kein Zufall.", erklärte Cody. "Ich kannte mal einen Mann, der mir von jemandem erzählt hat, der sein Leben per Münzwurf bestimmt hat. Selbst am Traualtar warf er eine Münze, bevor er ja sagte. Und weißt Du, was geschah? Er hatte ein langes, glückliches Leben, bis die Münze entschied, dass er nicht zum Arzt gehen sollte... und er starb. So ein Leben ist ein zufälliges Leben. Mehr oder weniger jedenfalls." Anschließend sah er sich ebenfalls im Raum um. "Ich sehe... Menschen und Vampire. Was soll ich anderes sehen?"

"So verhältst du dich aber!", gab Annie zurück. Sie fing an zu lachen. Sie fand es echt witzig. Sie zeigte auf die Mini-Falte. "Endlich mal eine körperliche Geste!"

Anastasia lächelte. "Dann kontrolliere ich eben mein Leben. So kann es mir wenigstens kaum einer kaputt machen, nicht wahr?" Sie zeigte auf die anderen im Raum. "Richtig. Nur Vampire. Niemand von ihnen ist besonders, nicht wahr? Außer du vielleicht." Sie lächelte kurz und sah ihn dann wieder ernst an. "Sie sind für mich alle grau, alle gleich. Niemand ist auch nur ansatzweise jemand, der sich unterscheidet. Außer mir und dir vielleicht."

"Hm?" Bloodwyn schielte in Richtung Stirn, sah aber natürlich nichts. "Mir wäre nicht bekannt, dass Untote keine Mimik hätten.", überlegte er laut. "Das muss ich überprüfen..."

Die Aussage brachte Cody zum Lächeln. "Na ja, wenn man es genau nimmt, bin ich auch grau. Schau Dir meine Haut doch nur an." Er deutete auf seinen - zugegeben - ziemlich grauen Arm. "Aber ich weiß, was Du meinst..."

Annie schlug sich mit der flachen Hand an die Stirn. "Du bist und bleibst merkwürdig." Sie schüttelte dann den Kopf. So eine Person hatte sie noch nie gesehen. "Du bist komplett anders, als alle die ich kenne."

Anastasia sah ihn an. "Und doch macht dich diese Graufärbung einzigartig. So wie es mich einzigartig macht, auf alles und jeden zu scheißen und nur das zu tun, was ich will. Soll ich dir was aus dem ersten Jahr erzählen, als ich hier war? Wieso der Rektor eine der Regeln aufgestellt hat?"

"Ist es denn falsch, anders zu sein?", fragte Bloodwyn und deutete ein Zucken der Augenbraue an. "Und als merkwürdig würde ich mich nicht bezeichnen, wenn ich ehrlich sein darf."

Cody überlegte nicht lange, sondern nickte. "Natürlich, sehr gerne." Er stellte die Ohren leicht auf.

"Natürlich ist es das nicht." Annie verzog den Mund. Irgendwie wurde das Gespräch unangenehm. "Also wo ist nochmal dein Zimmer?"

"Wie du mitbekommen hast, mag ich die Bluttabletten nicht sonderlich. Deshalb hab ich mir im ersten Jahr oft mal Essen bestellt. Ich hab das Essen nie gegessen, nur die Lieferanten ausgesaugt. Bis der Rektor mich erwischt hat und die Regel aufgestellt hat." Anastasia zuckte mit den Schultern. "Der Spielverderber."

"Wir stehen mittlerweile seit einer viertel Stunde vor der Tür meines Zimmers.", stellte Bloodwyn nüchtern fest und deutete auf die Tür.

Cody hörte aufmerksam zu und nickte langsam. "Ich muss ehrlich zugeben, ich habe noch nie richtiges Blut getrunken...", überlegte er - eher für sich, als für sie. "Das heißt, Du hast die Lieferanten umgebracht?", stellte er dann fest und hob eine Augenbraue.

"Gut. Dann leg dich hin und schlaf. Ich geh dann mal." Annie drehte sich um und ging.

Anastasia sah ihn an. "Wirklich nicht? Du hast was verpasst. Natürlich hab ich sie getötet. Wir sind Raubtiere. Ich vergleiche mich gerne mit Raubkatzen. Ich liebe die Jagd und das Töten gehört dann schon dazu." Sie schwelgte in Erinnerungen. "Vor gut 50 Jahren... Die Blüte meines Lebens. Du würdest nicht glauben, wie viele Leckerbissen ich mir da gekrallt habe."

"Nein, das werde ich nicht tun..." Bloodwyn drehte sich um und ging auf sein Zimmer. Natürlich konnte sie nicht verstehen, was er da alles tat - oder warum. Er musste diese Bestien auslöschen, bevor es zu spät war. Das war sein Auftrag. Nur deswegen war er hier.

Cody hob eine Augenbraue und schüttelte den Kopf. "Nein, ich habe noch nie echtes Blut getrunken. Vor achtzehn Jahren - als das mit mir passiert ist - haben meine Eltern mich eingesperrt, als ich vom Friedhof wieder nach Hause gestiefelt bin... ich glaube, es hat sie verstört, dass ihr "toter" Sohn so heim kommt..."

Annie ging zurück zum Unterricht. Sie wollte keinen Ärger bekommen und da sie sonst eh nicht viel zu tun hatte, war das die beste Entscheidung.

"Krass. Dass du dich einsperren lassen hast..." Anastasia sah ihn an. "Als ich zum Vampir wurde, bin ich von zu Hause weg gelaufen. Allerdings kam ich ab und an zurück. Und dann war irgendwann da dieses Baby. Durch das Baby bin ich immer öfter wieder mal nach Hause gekommen. Heute ist dieses Baby der Rektor der Schule und ich kotz in die Ecke."

Bloodwyn begann, wieder die Kopien der gestohlenen Akten des Direktors durchzugehen. Jedes einzelne Wort über diese verdammten Bestien merkte er sich. Wer den Krieg gewinnen wollte, musste seinen Feind kennen.

Cody zuckte mit den Schultern. "Ich wusste ja selbst nicht, was los war. Gerade eben hat mich noch so ein Mädchen abgeknutscht, dann wache ich plötzlich unter der Erde auf und brauche eine gefühlte Ewigkeit, bis ich mal aus diesem Sarg heraus komme.", erzählte er. "Ich dachte, es wäre das Beste, einfach mal auf meine Eltern zu hören. Im Nachhinein wäre ich vielleicht besser weggelaufen... damit hätte ich ihnen und meinem Bruder viel Ärger erspart." Überrascht zog er eine Augenbraue hoch. "Der Direx ist Dein BRUDER?!"

Annie war in der Pause umgeben von Mädchen, mit denen sie locker quatschen konnte.

"Uhhh so einer bist du also! Knutscht mit fremden Mädchen rum, ja?" Anastasia machte kurz einen Kussmund und lachte dann. "Nein, er ist nicht mein Bruder. Das wäre bizarr. Meine Mutter hat mich als Baby bei meinen Großeltern abgegeben. Kurze Zeit später war sie tot. Angeblich an einem Autounfall gestorben. Außerdem... Ich war zu der Zeit schon 55 Jahre alt." Sie grinste. "Ich bin eigentlich schon im Alter einer Oma!"

Bloodwyn hockte weiter im stillen Kämmerlein und las vor sich hin.

"Ich sagte ja, Untote meiner Art machen die Mädchen rattig." Cody grinste schief. "Nein, eigentlich hatte sie sich plötzlich auf mich gestürzt und an meinem Hals rumgebissen. Schade nur, dass das mitten auf den Schienen eines ICEs war." Er wurde wieder ernster. "Moment... wie seid Ihr denn dann verwandt? Ich hab heute zu wenig Hirn gegessen, als dass ich wirklich zu Gedanken fähig wäre."

Anastasia sah ihn verwirrt an. "Ähm... okay... Lustige Geschichte, deine Verwandlung." Sie blinzelte ein paar mal und sah ihn dann wieder ernst an. "Meine Großeltern waren nach circa 25 Jahren meines Lebens tot. Meine Mutter hatte eine Schwester, die natürlich über mich Bescheid wusste. Du musst wissen, meine Familie hat einen Knall und findet Vampire faszinierend. Sie übernahm das Haus meiner Großeltern und danach ihr Sohn. Ich hab sie immer wieder besucht. Meistens aber erst nach 10 bis 20 Jahren. Und dann der kleine Cole. Im Prinzip bin ich seine Patentante. Und ich glaube wir sind Groß-Cousins."

"Na ja, gibt Lustigeres, als verbuddelt zu werden und wieder aufzuerstehen.... auch wenn ich eine neue Religion gründen könnte, wenn ich Sandalen und einen Bart tragen würde." Cody zuckte mit den Schultern. "Achso, verstehe." So langsam ergab das Ganze einen Sinn für ihn.

"Genug geschwaffelt." Anastasia wollte dem Gespräch über Codys Verwandlung unbedingt aus dem Weg gehen. "Bald fängt für uns der Unterricht an."

Bloodwyn sah auf seine Uhr. "Zeit für meinen Spätsport.", stellte er fest, warf seinen Waffenmantel aufs Bett und begann, sich umzuziehen. "So... perfekt."

Cody sah auf die Uhr. "Stimmt... uärgs." Er ließ seinen Kopf auf den Tisch knallen, was wiederum die Naht in seinem Nacken mit einem lauten RATSCH! aufreißen ließ. "Meiner Meinung nach könnte es noch eine Weile bis zum Unterricht dauern.

Annie hatte den Schultag ohne weitere Probleme überstanden und ging zu ihrem Zimmer. Dort fing sie an Hausaufgaben zu machen.

"Ich geh nicht zum Unterricht.", sagte Anastasia und zuckte die Schultern. "Ich bin sein knapp 20 Jahren hier. Meinen Abschluss hätte ich längst, wenn ich das ganze Theater hier ernst nehmen würde."