Geschichte

Cole sah Cobalt an. "Für Schüler hab ich immer ein Ohr offen."

Annie wusste nicht wieso, aber sie ging zu Bloodwyns Zimmer. Sie stand direkt vor seiner Tür.

Cobalt legte ihm den Block auf den Schreibtisch und schlug ihn auf einer vollgeschriebenen Seite auf. "Das ist der Block von Bloodwyn, einem Mitschüler von mir.... schauen Sie sich das bitte mal an."

Bloodwyn suchte gerade in seinem Zimmer nach seinem Block und hörte daher nicht, wie Annie vor seiner Tür stand.

Cole sah auf dem Block.

Annie zögerte, ob sie anklopfen sollte oder nicht. Drehte sich dann aber um. Was sollte es denn bringen, wenn sie mit ihm redete?

Ich kann nicht mehr. Ich kann nicht mehr. Sie sollen aufhören. Ich will das nicht. Sie missbrauchen mich. Sie benutzen mich für ihre Zwecke. Ich will das nicht mehr. Die ganze Seite war damit vollgeschrieben, bis zur letzten Zeile, wo noch einmal dick und fett das Wort HILFE stand.

Cole las es sich genau durch. Er ballte die Hände zu Fäusten. "Danke dir, Cobalt.", sagte er angespannt. "Ich werde mich darum kümmern. Tue mir nur den Gefallen, dass das Mädchen in Zukunft nicht mit ihm alleine ist. Er scheint momentan nicht ganz bei sich zu sein."

Annie ging dann doch wieder zur Tür und klopfte leicht an.

Cobalt nickte. "Es ist mir nur aufgefallen, als ich im Unterricht neben ihm saß... mache ich." Er wandte sich zum Gehen, blieb aber im Türrahmen stehen. "Sir, erlauben Sie mir eine Frage?"

Bloodwyn sah auf und schloss die Tür auf. "Komm herein." Sein Zimmer war ein einziges Chaos.

"Du kannst mir jeder Zeit Fragen stellen, das weißt du doch." Cole lächelte ihn an.

Annie trat ins Zimmer. "Was ist denn hier passiert?", fragte sie und sah sich um.

"Hat... hat Bloodwyn meinen Bruder angegriffen?" Cobalt drehte sich zu ihm. "Ich weiß, eigentlich darf ich ihn nicht sehen, aber ohne meine Hilfe wäre er letzte Nacht vermutlich gestorben..."

"Ich habe meinen Notizblock verlegt und muss ihn wiederfinden." Auch wenn Bloodwyn nach wie vor monoton klang, wirkte er in höchstem Maße verwirrt.

Cole sah ihn an und schätzte ab, wie er reagieren würde. "Er ist eine Marionette. Er weiß nicht, was er tut, sobald ihm ein Befehl gegeben wird. Er führt ihn einfach aus.", erklärte er dann schließlich. "Meine Aufgabe ist es nun, diese Bindung zu kappen."

Annie sah sich um und verzog nachdenklich das Gesicht. "Aber in diesem Durcheinander wirst du sicher nichts finden." Sie fing an einige Sachen zusammen zu räumen.

Cobalt nickte langsam. "Er ist ein Vampir, nicht wahr?", fragte er nach. "Ein Vampir, der zur Auslöschung seiner eigenen Rasse benutzt wird." Er empfand Mitleid für Bloodwyn. Was für grausame Methoden musste er erleiden, wenn er seine eigenen Leute hasste? 

"Nicht anfassen!" Bloodwyn sah sie ausdruckslos an. "Hier ist alles in perfekter... in perfekter Ordnung. Ich muss nur meinen Notizblock finden..."

Cole nickte. "Wenn Annie auch nur ansatzweise etwas von Bloodwyn erfährt, wird sie in größerer Gefahr schweben, als ihr lieb sein dürfte."

Annie sah Bloodwyn an. "Ich wollte nur helfen." Sie legte die Sachen wieder weg. "Ist der Block denn so wichtig?"

Cobalt nickte auch. "Wir wollten uns um fünf in der Caféteria treffen, dann sage ich ihr das..." Er sah Cole an. "Meinen Sie, es besteht noch Hoffnung für ihn? Also, dass er jemals wieder ein normales Leben führen kann?", fragte er leise.

"Ja, da sind meine ganzen Notizen aus der Schule drin. Ich muss ihn wiederfinden." Bloodwyn durchwühlte seinen Rucksack.

"Ich bin mir sicher. Es gibt immer einen Ausweg, Cobalt. Merk dir das. So habe ich auch einen Ausweg für Cody gefunden. Und Anastasia hat einen Ausweg von ihrer Kaltherzigkeit gefunden. Man muss nur suchen."

"Du kannst auch gerne von mir abschreiben." Annie lächelte ihn an. "Und einen neuen Block kann ich dir auch geben."

Cobalt nickte leicht. "Es ist nur... diese Notizen. Ich habe noch nie so einen dringenden Hilfeschrei gesehen." Er sah zu Boden. "Ich würde mir wünschen, dass er frei kommt."

Bloodwyn sah auf. "Das wäre... akzeptabel, vielen Dank." Er setzte sich auf sein Bett und kam etwas zur Ruhe.

"Ich versuche es schon eine Weile.", gestand Cole. "Nur ist die Bindung zu stark. Wenn ich wüsste, wie sie funktioniert, könnte ich vielleicht einen Gegenpart erfinden." Er fuhr sich durch die Haare. "Es ist zum Haare raufen."

Annie lächelte ihn an. "Soll ich dir beim Aufräumen helfen? Oder willst du, dass alles so bleibt?" Sie versuchte wieder, dass Bloodwyn sie als Freundin sah. Ihr war das wichtig. Warum konnte sie gar nicht so recht sagen.

"Ich... weiß, es klingt verrückt, aber vielleicht ist es irgendeine Art von sexueller Beziehung?" Cobalt konnte selbst nicht glauben, dass er das wirklich aussprach. "Ich meine, in seinen Notizen spricht er davon, dass er missbraucht UND für die Zwecke der Jäger benutzt wird." Er schüttelte den Kopf. "Tut mir leid, das ist wirklich verrückt." 

"Ich räume später auf. Möchtest Du dich setzen?" Bloodwyn deutete auf einen freien Stuhl.

Cole nickte. "Das wäre dann wirklich tragisch. Was würde er dann machen, was meinst du?" Er deutete auf den Stuhl vor seinem Tisch. Die Diskussion mit Cobalt war interessant. So konnte er vielleicht weiter kommen.

Annie setzte sich und sah ihn weiter an. "Ich wollte mich wegen gestern entschuldigen. Ich war nicht ganz ich."

Cobalt setzte sich zögerlich. "Ich... es ist schwierig, das vorauszudeuten. Leute in sexueller Abhängigkeit... können auf verschiedene Arten reagieren, habe ich... gelernt, vor einer Weile. Aber so emotional kalt, wie Bloodwyn momentan ist, wird er vermutlich seinen unterdrückten Hass an anderen auslassen. Mit Gewalt, vielleicht auch sexuell... ich weiß es nicht. Ich kann ihn nur schwer einschätzen."

"Ist schon in Ordnung." Bloodwyn winkte ab. An seinen Händen war mittlerweile das Blut getrocknet.

Annie sah seine Hände an. "Was hast du da gemacht?" Sie stand auf und setzte sich neben ihn und nahm seine Hand in ihre Hände. Sie sah sich die Wunde an.

Cole nickte leicht. "Er ist tatsächlich schwer einzuschätzen. Bei allen anderen gelingt es mir oft, aber bei ihm stoße ich nur auf Wände." Er seufzte. "Wenn er also jemanden hat, der ihn nicht mehr verlassen soll...", fing Cole an und verzog nachdenklich das Gesicht.

"Es ist, als hätte er keine Gefühle... aber die Notizen sagen etwas ganz anderes." Cobalt stützte seinen Kopf in die Hände. "Ich glaube, wenn ihm jemand wirklich wichtig wäre, was höchst unwahrscheinlich ist... würde er alles tun, damit er oder sie ihn nicht verlässt."

"Nicht so wichtig..." Bloodwyns Hände sahen aus, als wären sie einmal durchstochen worden, an den Ränden war die Wunde schwarz, als wäre das Fleisch dort abgestorben.

Cole nickte leicht. "Dann hoffen wir mal, dass es niemals passieren wird." Er sah Cobalt an. "Es beschäftigt dich wirklich, oder?"

Annie strich leicht über die Wunde. "Hat sich das mal ein Arzt angesehen? Das sieht nicht gut aus.", sagte sie besorgt. Dann sah sie hoch in sein Gesicht. Irgendwas an ihm faszinierte sie so sehr, dass sie ihn nicht in Ruhe lassen konnte. Sie hätte es auch einfach hin nehmen können, dass sie keine Freunde waren. Doch sie tat es nicht.

"Ich... er tut mir einfach leid. Wie lange muss jemand gequält werden, bis er seine eigene Rasse verabscheut?!" Cobalt sah Cole ernst an. "Was muss man durchleben, bis man die Marionette dieser Monster wird?! Ich will mich das nicht fragen, aber ich kriege diese Notizen nicht aus meinem Kopf!" 

"Ich brauche keinen Arzt..." Bloodwyn zuckte nicht einmal, als sie die Wunde berührte, und sah ihr ins Gesicht. Was wollte sie?! Sie waren keine Freunde, hatte sie doch selbst gesagt. Vielleicht wollte sie ihn ausspionieren.

"Eventuell wurde er so erzogen, dass er denkt, er wäre kein Vampir. Dann wurden Vampire gezwungen von ihm Blut zu nehmen. Immerhin ist er kein Vampir, wie du sie kennst. Er ist ein Vampirgeborener." Cole schrieb sich einige Notizen auf. Vielleicht brauchte er sie später nochmal.

Annie lächelte schwach. "Das dachte ich mir schon." Sie sah dann wieder zu seiner Hand und schloss sie in ihren Händen ein. Als würde das sie wieder heilen.

"Ein Vampir...geborener.", wiederholte Cobalt mit großen Augen. "Solche gibt es? Gawain meinte immer, es gäbe solche nicht..." Er wurde leiser und sah zur Seite. "Ich... ich wünschte, ich könnte Ihnen mit Bloodwyn mehr helfen."

Bloodwyn schloss kurz die Augen und unterdrückte den Schmerz. "Was möchtest Du von mir?", fragte er und versuchte, nett zu klingen, was natürlich nicht gelang.

"Es gibt nicht mehr viele von ihnen.", erklärte Cole. Er dachte über alles nochmal nach. "Es wäre am besten, wenn niemand in seine Nähe kommt, solange er so ist. Er darf noch niemanden ins Herz schließen. Ich fürchte mich irgendwie davor."

Annie ließ Bloodwyns Hand los und sah traurig auf den Boden. "I-ich...", fing sie an, wusste aber nicht, was sie antworten sollte. "Ich kann auch gehen, wenn du das willst."